Märchen von da Kastanie

Opus 161/ 1980

 

Wenn ich in der Kreuzberger Naunynstraße am Fen­ster saß und den schmutzigen Asphalt betrachtete, malte ich mir aus, die Straßenschlucht sei ein Garten mit großen Laubbäumen, Obstgehölzen, Gemüsebee­ten, weidenden Tieren, einem gewundenen Bächlein, spielenden Kindern. Und statt heulender Motoren und Türenschlagen füllte die Ohren Vogelgesang.

 

I hob amoi gwohnt in ana groußn Schdod,

wo s grod Schtraßn, Haisa und Autos gem hod.

I waar boid dastiggt voa Gschtang und Rauch,

woit so gean an Baam hom voa meim Haus.

 

Doch oamoi, schtaejts enk vor, mittn aus m Tea,

woggst wirkle voa meim Haus a kloans Baimal hea.

Üwa d Nacht hods scheins d Schtraß duachdruggt,

und da Vokeah hods zerst ned gjuckt.

 

Bei Tog hom dann d Autos dem Baimal zuagsetzt,

und hamms scho dadetscht ghod zu guata Letzt.

Do hobama denkt, wenn eahm i ned beischteh,

dann koihnses no ganz o und es waar so schee.

 

Mit Piggl und Schaufe bine dann

eine in d Schtraß, boid hättns me dafohn.

Vor Zoan howe dann an Vokeah aafghoitn

und d Leit umadum hom gschimpft und gschoitn.

 

Nacha howe mitm Pickl an Tea aafbeggt

und d Autofahra hamd me aa no dableggt.

Ghupt hom s wia narresch und mia hods pressiad,

doch s Baimal howe ausgrom, unbeiad!

 

Dahoam hobes dann in mei Bett eineglegt,

hobs gossn und mit meim Duchad zuadeggt.

s hod ned lang dauat, dann hodasse griaht

und s wochsn ogfangt und aa glei bliaht!

 

Mei Bett war scho ziemle boid z kloa,

des Baimal is gwochsn, wia sunst in fuchzg Joah.

Es hod aus m Fensta und aus m Dach triem,

grod seine Wurzln sand im Bett drinn bliem.

 

Am andan Tog hod mei Baam scho trong,

hundattausnd Kastanien, do kannst jedn frong!

War des a Freid, mi hods fast zrissn,

hob vor lauta Liab in Baam einebissn.

 

Do hod asse gschiedld, am End vor Schragga,

grod konnte den nächstn Ast no bagga

und hob me wia a Aff einfach aaffeghängt

sunst häds woih ned grod Kastanien grengt.

 

Hundattausndfach sands duach d Luft gflong

hom se duachn Tea eineboaht in Bon.

Aus jeda Frucht is a Baam geboan

und d Autofahra sand voiends narresch woan.

 

D Feiawehr is kemma und aa d Polizei

woitnd schnaej die Baam umschnei.

Gsaglt und ghaut hom s üwa a Wocha

doch de Baam hom aaf Gwoit ned ogsprocha!

 

Unsa Schdod steht seither mittn im Woid

und d Baam hom alle Schtraßn akoiht.

Nirgands is mehr a Auto zum hean

dafür wochsnd übaroi Schwamma und Bean.