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"Die Freiheit stirbt an ihrer Verteidigung"

Wie der Kurnaz-Ausschuss Feigheit vor dem amerikanischen Freund demonstriert

Von Rolf Lamprecht


Der Kurnaz-Ausschuss leidet an Seh- und Sprachstörungen. Seine Mitglieder verdrängen, wer - außer Frank-Walter Steinmeier, den manche im Visier haben - wirklich schuldig ist am Leidensweg des Türken aus Bremen. Sie müssten einmal deutlich sagen, wonach sie suchen. Sie sorgen sich um das Opfer eines Verbrechens, aber über das Verbrechen und die Verbrecher verlieren sie kaum ein Wort. Sie wollen herausfinden, ob die Schröder-Regierung Pflichten verletzt hat, als sie zögerte, Kurnaz schnell aus Guantanamo zu befreien - nicht aus harmloser Haft, sondern aus barbarischer Gefangenschaft.


Doch da betreten sie vermintes Gelände. In der Wahrheit hinter der Wahrheit steckt Dynamit. Der Kerkermeister ist ein Verbündeter. Er heißt George W. Bush. Worum es geht, mag ein Vergleich illustrieren. Wäre der Türke in einem anständigen Rechtsstaat unschuldig eingesperrt worden, hätte kein Grund zur Aufregung bestanden. Zivilisierte Nationen regeln den Freiheitsentzug auf zivilisierte Weise. Wer bei ihnen sitzt, muss betreut, aber nicht beschützt werden. Mit dem Vorwurf, Beamte hätten versäumt, Kurnaz vor der französischen Justiz zu retten, würde sich jeder lächerlich machen. Und ein Untersuchungsausschuss käme schon gar nicht zustande.


In den USA gehen die Uhren anders. Viel Vertrauen bringen die Abgeordneten dem Land ersichtlich nicht entgegen; sie halten es offenbar für juristisch unterentwickelt. Diese versteckte Geringschätzung erklärt ihre Reserve. Sie wissen oder ahnen: Wer dem Außenminister einen Fehler ankreiden will, muss ihm - indirekt - vorwerfen, er hätte 2002 Kurnaz vor dem KZ bewahren müssen.


Wenn Steinmeier versagt hat, dann deshalb, weil er zu spät realisierte, dass in Bushs Amerika ethische Standards nur noch bedingt gelten. Ausschussmitglieder, die das Taktieren von Rot-Grün in dieser Sache für falsch halten, mögen damit sogar richtig liegen. Dann sollten sie aber ungeschminkt sagen: Nur Schlafmützen haben nicht gemerkt, dass Amerika kein Rechtsstaat mehr ist. Das wagen sie nicht - aus Feigheit vor dem "Freund".


Andererseits ist ihr Verfolgungseifer nur legitim, wenn sie ein fremdes Verbrechen aufklären und unterlassene deutsche Hilfe rügen wollen. Daher sollten sie endlich offen einräumen, dass sie einen Fall menschenverachtender Willkür untersuchen. Vielleicht merken sie dabei sogar, dass die Oberaufseher der Schergen nicht in Berlin, sondern in Washington sitzen. Für diese Schlussfolgerung gab es sogar einen zaghaften Ansatz. Als im Januar ein Zeuge aussagte, Kurnaz sei in Guantanamo "durch die Hölle" gegangen, entfuhr dem Vorsitzenden Siegfried Kauder der Seufzer: "Erschütternde Details". Wer mehr erfahren will, muss lesen, was Amnesty International dazu auf der Basis seriöser Quellen veröffentlicht - auf E-Mails von FBI-Mitarbeitern, deren Publikation durch US-Menschenrechtler erzwungen wurde.


So erfuhr die Öffentlichkeit Einzelheiten. Die Verhörspezialisten berichten "von extremer Hitze und Kälte, lauter Dauerbeschallung mit Musik, grellem Blitzlicht, Bedrohung durch Hunde, Isolationshaft im Dunkeln und Schlafentzug" - und von Gefangenen, die "am Boden liegen, an Händen und Füßen festgekettet", "mit ihrem eigenen Urin oder Kot beschmutzt". Ein anderer FBI-Agent schrieb: "Als ich einmal in den Raum kam, war die Air Condition so weit heruntergedreht und die Raumtemperatur so eisig, dass der Häftling, der barfuß war, vor Kälte schlotterte." Ein anderes Mal sei die Heizung lebensbedrohlich hoch gestellt gewesen - "der Häftling lag halb bewusstlos am Boden, neben ihm ein Büschel Haare", die er sich offenbar in der Nacht "selbst ausgerauft" hatte. Das sind Meldungen wie aus dem Mittelalter oder auch aus den finstersten Zeiten des 20. Jahrhunderts. Vor dem US-Tribunal treten gerade auf: ein Offizier als Richter, ein Offizier als Staatsanwalt, ein Verteidiger, der mit dem Ausschluss rechnen muss, wenn er seine Aufgabe ernst nimmt, und ein Angeklagter, der alles gesteht, um zu entkommen.


Kaum zu glauben, dass nach dem Zweiten Weltkrieg mal die Parole vom "Hort der Freiheit" um den Erdball ging. Das war allerdings nur eine Seite der Medaille - die andere: Die amerikanische Demokratie hat sich immer als Januskopf gezeigt. Sie brachte einmalige Politiker wie George Washington hervor, der sogar Gedanken zum aktuellen Thema hinterlassen hat. Er sagte: "Wer bereit ist, grundlegende Freiheiten aufzugeben, um sich kurzfristig Sicherheit zu verschaffen, der hat weder Freiheit noch Sicherheit verdient."


Zur Geschichte Amerikas gehört aber auch der berüchtigte Senator McCarthy, der 1954 mit einer atemberaubenden Hetzjagd auf tatsächliche und vermeintliche Kommunisten das Land kurzfristig in eine Überwachungsdiktatur verwandelte. Er gab vor, die USA vor einer "fünften Kolonne" der KP schützen zu müssen. Bush rechtfertigte den Bruch eherner Grundrechte nicht weniger windig: Nach dem 11. September 2001 sei die Welt anders geworden, man fühle sich angesichts der neuen Lage nicht mehr an alte Regularien gebunden.


Beide, Bush wie McCarthy, repräsentieren das Wildwest-Gesicht Amerikas - die alte Cowboyregel: Wer zieht seinen Colt zuerst? Dahinter steckt ein Freund-Feind-Denken, das die eigene Sicherheit über alles stellt. Kein Geringerer als Thomas Mann hatte ein Gespür für diese Mentalität. Er verkündete, als McCarthy wütete, eine zeitlose Weisheit: "Die Freiheit stirbt an ihrer Verteidigung."


Bush wird als ein KZ-Gründer in die Geschichtsbücher eingehen. Ihm ist es gelungen, den (einstmals vorbildlichen) Rechtsstaat USA bis zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln - und in die Nachbarschaft von Bananenrepubliken zu manövrieren. Unter denen haben nur wenige die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" so missachtet wie die USA. Folterverbot, Unschuldsvermutung, rechtliches Gehör, Anspruch auf Verteidigung oder gar auf einen fairen Prozess - alle diese Essentials sind in Guantanamo Fremdworte.


An deutsches Recht darf man schon gar nicht denken. Ein Politiker, der sich - wie Bush - alle möglichen Amtsdelikte von der Rechtbeugung bis zur Freiheitsberaubung zuschulden kommen ließe, käme für lange Zeit ins Gefängnis. Doch wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter. Deshalb muss sich der Ausschuss um die Spätfolgen amerikanischer Rechtsperversion kümmern - aber er behält diese Wahrheit schön für sich.

Rolf Lamprecht war von 1968 bis 1998 Spiegel-Korrespondent bei den Obersten Gerichtshöfen. Er ist Ehrenvorsitzender der "Justizpressekonferenz Karlsruhe" (JPK). Foto: oh

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.85, Freitag, den 13. April 2007 , Seite 2
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